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AutorenbildPenelope Spencer

Erste Barockvioline Stunden Teil 2

Aktualisiert: 11. Juni

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Barock- und „klassischen“ Geigenspiel?

Bei der ersten Stunde hat sich herausgestellt, dass wir bei der Barockmusik unsere Vorgehensweise anders gestalten müssen. Statt des Strebens nach gleichmäßigen Ab- und Aufstrichen interessiert uns eher der natürliche Unterschied zwischen Ab- und Aufstrich, der sich mit dem Barockbogen besonders gut spüren lässt. Wir beginnen, mit dem Bogen zu „sprechen“.


Ein endlose Vielfalt an Stricharten


Und damit kommen wir zum zweiten großen Unterschied. Beim Spielen mit dem Barockbogen sind die Grenzen zwischen den verschiedenen „Strichen“ im Vergleich zur klassischen Bogentechnik ziemlich undefiniert. In unserem klassischen Studium haben wir verschiedene Striche gelernt und geübt – „détaché“, „martelé“, „spiccato“, „staccato“, „ricochet“, „sautillé“ usw. Die sind teilweise sogar in den Noten deutlich angegeben. Wir lernen auch selbst zu bestimmen, welcher Strich wann benutzt werden soll.

Beim Barockviolinespiel dagegen verschmelzen die Striche miteinander – es gibt endlose Möglichkeiten, wie man den Barockbogen benutzen kann. Wichtig ist jedoch, dass jeder Ton anders gestaltet wird, oder besser gesagt, ein Wort oder Wortteil „spricht“. Es kommt relativ selten vor, dass zwei Töne nebeneinander genau gleich sind – dieser besondere Effekt wurde normalerweise vom Komponisten deutlich in die Partitur angegeben, zum Beispiel mit einem Punkt oder einem „Dolch“-Zeichen. Genau wie beim Sprechen: dasselbe Wort zweimal hintereinander ist eher ein spezieller Effekt.


Also hat der berühmte Violinist und Pädagoge Francesco Geminiani in seiner Violinschule von 1751 das Konzept des selbstständigen Gestaltens von Tönen und Phrasen deutlich geschildert.

Buono (gut)

Töne haben eine „shape“ oder „Messi di Voce“ (kleine, schöne, Schwellung).


Mediocre (nicht schön)

Töne sind alle gleich und gerade.


Cattivo o particolare (schlecht oder spezieller Effekt)

Töne sind alle gleich, aber auch sehr kurz.


Ottimo

Das sind die Töne, die interessant gestaltet sind. Hierfür gibt es keine festen Regeln (außer bei den Franzosen, aber dazu kommen wir später), aber man bekommt mit der Erfahrung und beim Spielen mit anderen guten Musikern „Good taste“, also ein gutes musikalisches Gefühl für das, was passt.


Wir haben die Verantwortung


Anders als bei der klassischen Ausbildung haben wir als Barockmusiker:innen viel mehr Verantwortung für das Gestalten der Musik. Aber was bedeutet das, und wie lernen wir das heutzutage?


Grob gesagt, sind dies die Bereiche, in die wir uns zunächst vertiefen sollten:


1. „Good Taste“: Damals wurde sehr viel über den „guten Geschmack“ gesprochen und wie wichtig er ist, um die Musik überhaupt spielen zu können. Es gab große Unterschiede in der Gestaltungsweise der Musik verschiedener Länder. Ein gutes musikalisches Gefühl für Stil und Ästhetik ist entscheidend.


2. Länderspezifische Unterschiede: In der Barockzeit gab es erhebliche Unterschiede in der Musikausführung zwischen den verschiedenen Ländern. Diese Unterschiede zu kennen und zu verstehen ist wichtig, um die Musik authentisch zu interpretieren.


3. Komposition und Musiktheorie: Viele Violinisten waren auch Komponisten und hatten daher ein tiefes Verständnis der musikalischen Prinzipien. Ein gutes Verständnis der Harmonien und des Charakters (Tanz, Kirche, Tonart usw.) des Stückes ist notwendig, um geschmackvolle eigene Verzierungen oder Improvisationen zu entwickeln, was in der Barockmusik immer wieder vorkommt.


Wie lernen wir das heutzutage?


Das ist ein großes Thema, aber kurz gesagt ist es meine Überzeugung, dass man das wie eine Sprache am besten durch das Spielen mit anderen, erfahreneren Barockmusikern lernen kann. So spiele ich möglichst viel mit meinen Schüler:innen zusammen (ich spiele immer die Bassstimme auf der Geige oder Bratsche mit).


Zusätzlich gibt es natürlich sehr viele gute Aufnahmen – man sollte möglichst viel anhören.


Dann gibt es bestimmte Texte und Quellen, die man lesen sollte (dazu mehr später!).


Technische Unterschiede



Natürlich gibt es auch technische Unterschiede zwischen dem Spielen mit einem Barock- und einem Tourtebogen (es gibt auch eine Vielfalt an Barockbögen - kein einziges Modell könnte man als "standard" bezeichnen), die uns helfen können, unsere musikalischen Ziele in der Barockmusik mit historischen Instrumenten effektiver zu erreichen.


Im Allgemeinen müssen sich die meisten Leute erst daran gewöhnen, mit viel mehr Handgelenksbeweglichkeit und feinem Fingergefühl zu spielen. Während in der klassischen Ausbildung heutzutage oft nach Lautstärke und "Ton" gesucht wird, um in großen Konzertsälen gehört zu werden, suchen wir in der Barockmusik eher nach Feinheiten und Artikulation, die in Salons oder Kirchen gespielt wurden und feine Bewegungen erfordern.


Wie Geminiani es beschreibt:


Die Bewegung soll von den Gelenken des Handgelenks und Ellbogens ausgehen beim Spielen schneller Noten und sehr wenig oder gar nicht von der Schulter. ... Der Bogen muss immer nur mit dem Zeigefinger auf die Saiten gedrückt werden, und nicht mit dem ganzen Gewicht der Hand.

Die verschiedenen Bögen spiegeln die verschiedenen musikalischen Bedürfnisse wider, daher ist es sehr zu empfehlen, so viele verschiedene Bögen wie möglich auszuprobieren. Auch das Experimentieren mit verschiedenen Bogenhaltungen ist empfehlenswert. Ob man den Bogen mit dem Daumen unter dem Frosch in der französischen oder frühen italienischen Art spielt oder mit dem Daumen auf dem Stock, wie es heute und auch im 18. Jahrhundert üblich war, macht einen großen Unterschied aus. Damit kann man auch experimentieren und lernen!


Lasst uns einige meiner Bögen betrachten und mit den Bogenhaltungen experimentieren. Die Welt der Barockmusik öffnet sich noch ein Stück weiter...


“Shortissimo” for early Italian music and Biber. The length is only 60cm, the weight 37g. (Pieter Affourtit, 2019)



Viola D’amore or Violin bow after Caspar Stadler 1714 by Eitan Hoffer, 2014

This Bow is made after an original bow by Caspar Stadler in the “Germanishes National Museum” in Nurnberg. It is 66 cm long and it’s weight makes it an excellent violin bow as well. Eitan considers this to be the most perfect bow for the music of J.S Bach.


Baroque Bow 47 gms by Daniel Latour, 1988 



Baroque Bow model ca 1740 54 gms by Kees Van Hemert, Den Haag, 2022



Original English Bow by T. Tubbs with a Frog by J. Dodd ca. 1810


Bis zur nächsten Stunde!


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